Hand ohne Bein, Bein ohne Hand???

Jeder hat es vermutlich schon einmal gehört: Das Zitat von Baucher „Hand ohne Bein, Bein ohne Hand“
Dieser viel zitierte Satz sorgt für einige Verwirrung, widerpricht diese Forderung doch
auf den ersten Blick dem Grundsatz der Deutschen Reitlehre, dass das gerittene Pferd zwischen den Hilfen (Gewicht, Schenkel, Hand) eingerahmt gehen soll, also keine Hilfe für sich alleine gegeben werden soll.
Schnell entsteht der Eindruck, das ginge doch nach diesem Grundsatz alles viel einfacher.
Das machen sich viele Anhänger der alternativen "klassischen" Reitweise zu Nutzen und richten ihre ganze Reiterei danach aus.
Klingt ja recht einleuchtend.

Und schon ergeben sich Grundsatzdiskussionen und pauschale Aussagen wie „beim Reiten nach der
klassischen Deutschen Reitlehre wird hinten gestochen und vorne festgehalten“, „ich möchte aber nicht dauertreiben müssen, das kann doch auch nicht richtig sein“, „in der xy-Reitweise ist das viel einfacher, da wird entweder getrieben oder pariert“ und vieles mehr.

Liest man jedoch genauer in den Richtlinien oder auch bei Seunig, wird schnell klar, dass das Baucher-Zitat ziemlich sicher aus dem Zusammenhang gerissen wurde und nicht so für sich alleine stehen gelassen werden kann. Das kommt natürlich auch daher, dass Baucher der französichen Schulreiterei entstammt, einer Reitweise mit völlig anderem Schwerpunkt und somit auch einer anderen Reihenfolge der gelehrten Ausbildungsschwerpunkte.

Auch in der Deutschen Reitlehre erfolgen die Hilfen immer aufeinander abgestimmt, niemals
dauerhaft und daher auch sehr selten wirklich gleichzeitig. Und natürlich kommt es auch auf die Intensität an!
Vorne ziehen und hinten stechen ist immer falsch!

Seunig beschreibt die Lage des Schenkels mit „tätiger Losgelassenheit“, was nichts anderes
bedeutet, als dass der locker am Pferd mitschwingende Schenkel im korrekten Normalsitz niemals weggestreckt wird und somit der korrekte Sitz an sich bereits vortreibend wirkt.
Er beschreibt die Wirkung des Schenkeldrucks so, dass sie das Pferd antreten lässt und auch, dass dieser sofort aufhören muss, sobald eine Reaktion erfolgt ist. Also eben NICHT Dauertreiben.

Wird durch das Treiben ein Tempoveränderung oder ein Verhindern des Langsamerwerdens
angestrebt, wirkt die Hand passiv, sie bietet dem Pferd lediglich die Anlehnung an.
Soll die Haltung, der Fleiss der Hinterhand oder die Versammlung verbessert werden, ist die
Reaktion auf die vortreibende Schenkelhilfe die Voraussetzung für das Gelingen der halben Parade.
Denn nur, wenn das Pferd an die aushaltende Hand tritt und sich abstößt, kann die Parade gelingen.
Dadurch sind Schenkel-und Zügelhilfen ganz leicht zeitversetzt.
Die Gewichtshilfe ist im Normalsitz bereits vortreibend, durch ein Kippen des Beckens (dem sog. Kreuzanziehen) wird diese Wirkung verstärkt. Auch das Kreuzanziehen ist niemals dauerhaft, der Reiter kehrt sofort nach der Reaktion wieder in den Normalsitz zurück.

Die Zügelhilfe ist, korrekt ausgeführt, entweder ein KURZZEITIGES Aufhalten (also Begrenzen),
das Pferd stößt sich am Gebiss ab und somit erfolgt das sofortige Nachgeben quasi von selbst oder ein ebenso kurzzeitiges Annehmen, das aber auch IMMER von sofortigem Nachgeben gefolgt ist.
Ebenso klar ist es, dass z.B beim Antraben die Hand nicht „hängen“ bleibt, sondern dem Maul
weich folgt.
Dadurch, dass das Pferd von hinten nach vorne ans Gebiss tritt, ergibt es sich von selbst, dass die Hilfen minimal zeitversetzt gegeben werden. Denn nur, wenn die Reaktion auf die Gewichts-und die Schenkelhilfe eingetreten sind (und somit die Hilfe ausgesetzt wird), stößt sich das Pferd am Gebiss ab.

Einzige Ausnahme einer deutlich isolierten Hilfengebung ist das Anreiten junger Pferde. Diese erlernen als erste, wichtigste Hilfe den vortreibenden Schenkel kennen, vorerst noch bei leicht entlastendem Sitz und ohne Verbindung zum Pferdemaul. Die Übergänge in die niedrigere Gangart werden anfangs hauptsächlich über die Stimme durchgeführt und dürfen durchaus noch auslaufend
sein. Aber auch hier gilt es natürlich, das Pferd nach und nach etwas mehr zu schließen und dazu zu bringen, aus der aktiven Hinterhand den Kontakt zur Reiterhand zu suchen.

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